Carsten Becker
Interview Harald Theiss und Carsten Becker, de
Wir sitzen unter der Arbeit mit dem Titel “Vichyform mit Kugelknopf”. Es ist eine Arbeit aus deiner aktuellen Serie. Du beschäftigst dich schon länger mit Farben, mit Farbkatalogen.
Carsten Becker im Gespräch mit Harald Theiss
Zu den Ausstellungen Epilogue und Edition #5
Haunt, Berlin, 16. Januar 2021
Harald Theiss: Herzlich Willkommen, Carsten Becker, in der Ausstellung bei Frontviews at Haunt. Hier haben wir zwei Ausstellungen organisiert, eine Editions- und eine Begleitausstellung. Wir sitzen unter der Arbeit mit dem Titel “Vichyform mit Kugelknopf”. Es ist eine Arbeit aus deiner aktuellen Serie. Du beschäftigst dich schon länger mit Farben, mit Farbkatalogen. In einer Serie davor, mit den Farbtafeln, die dich auch bekannt gemacht haben, erfahren wir über diese Farbkombinationen auch viel über die Geschichte, die diese Farben haben. Könntest Du etwas über den Hintergrund und über deinen künstlerischen Ausdruck erzählen?
Carsten Becker: Ich war in einem Projekt zuvor mit den RAL-Farben konfrontiert. RAL-Farben sind deutsche Industrie-Standard-Farben und man muss mit jedem Lackierer in RAL-Nummern sprechen. Ich hatte mich schon immer gefragt: was sind diese Farben? Als ich mich näher damit beschäftigte, habe ich verstanden, dass es Standardfarben für staatliche Behörden sind und es eine Farbsammlung ist. Einzelne Farben aus dieser Sammlung sind mitunter 100 Jahre alt, es gibt Farben aus dem ersten Weltkrieg und aus dem zweiten Weltkrieg. Als ich dann las, dass nach dem zweiten Weltkrieg Farben herausgenommen, also gelöscht wurden, begann ich mich dafür zu interessieren. Ich habe dann in der Serie RAL versucht, diese gelöschten Farben mit Hilfe von Spezialisten zu rekonstruieren. Diese rekonstruierten Farben habe ich dann auf Tafeln, auf Aluminiumplatten lackiert und habe mich selber von diesen Farben überraschen lassen.
H.T.: Gibt es da von vornherein eine bestimmte Absicht? Es geht um Geschichte und Geschichten. Ich kann mich erinnern, dass Du Fragmente aus Deiner eigenen Geschichte erzählt hast. Und für die Betrachter ist es interessant zu erfahren, wie Du diese Farben kombinierst. Gibt es da eine Ordnung? Oder ist es eher eine stark konzeptionelle Herangehensweise?
C.B.: Das Interesse an diesem Thema hängt auch mit meiner Familiengeschichte zusammen. Ich habe dort Farben vermutet, die ich dann auch rekonstruieren konnte, die die Farbwelt meiner Großeltern widerspiegeln. Ich habe bei Frontviews im Jahr 2018 eine Soloshow gemacht, in der ich verschiedene Triptychen gezeigt habe. Pro Triptychon drei Farben und diese Farben hingen miteinander zusammen. Da gab es drei Farben für Züge, drei Farben von Flugzeugen und drei für Panzer. Das war mein erster Ansatz, für einen Anwendungszweck ein thematisches Triptychon zu machen.
H.T.: Es ist ja auch immer interessant zu erfahren, welche Funktion diese Farben hatten. Mit dieser Funktion erfährt man ja auch ein Stück deutsche Geschichte. Ich habe auch zwei, drei Führungen mit BesucherInnen gemacht. Du schaffst über diesen Farbenkatalog einen neuen, emotionalen Zugang zu schwierigen Themen. Wofür steht jede Farbe, sie sind ja zum Teil historisch sehr aufgeladen?
C.B.: In meiner Edition für Frontviews ist das runde Element, Kugelknopf, in einer Farbe lackiert, welche die erste Tarnfarbe gegen Infrarot-Nachtsichtgeräte im Jahr 1943 war. Das Blau wiederum ist ein Tarnton für Flugzeuge, um gegen den Himmel getarnt zu sein, also wenn man ein Flugzeug von unten sieht. So hat jede Farbe eine Funktion. Zunächst, bei den RAL-Tafeln, habe ich sie thematisch geordnet und in der aktuellen Arbeit DIN versuche ich etwas freier damit umzugehen.
H.T.: Die neue Arbeit finde ich insofern spannend, da du dich aus der Abstraktion in eine Gegenständlichkeit begibst, in ein ikonographisch aufgeladenes Genre, das Stilleben. Aber deine Stilleben erzählen nicht von Vergänglichkeit sondern von Vergangenheit. Diese Flasche und diese Kugel, die wir sehen, lösen erstmal ein spekulatives Narrativ aus. Was ist der Hintergrund der Flasche und der Kugel?
C.B.: Nach der RAL-Arbeit mit den Farbtafeln habe ich Objekte gesucht, auf die ich diese Farben applizieren kann. Diese Standardfarben waren ja für dreidimensionale Objekte gedacht, für Autos, Flugzeuge. Zunächst eben diese Tafel, die wie Farbmuster sind, wie aus dem Farbkatalog. Dann bin ich auf die DIN-Objekte gekommen. DIN ist auch ein deutscher Industrie-Standard, ihn gibt es auch seit über 100 Jahren, er stammt aus dem ersten Weltkrieg. Ich dachte dann, es wäre interessant, diesen Farbstandard und diese Standardobjekte zusammenzubringen, eine Art Hybrid aus beiden zu schaffen. Momentan arbeite ich so, dass ich pro Bild ein lackiertes Objekt zeige. Für Frontviews habe ich das erste mal Objekte kombiniert.
H.T.: Ich finde Deine Herangehensweise ziemlich spannend so mit diesen Farben zu arbeiten, weil ich es eine sehr spannende Form finde, Geschichte zu erfahren. Und diese Stilleben, die Du in sofern aktualisierst, weil die Kombinationen einem vertraut vorkommen, aber durch die blassen Farben ziemlich rätselhaft bleiben. Ist das Rätselhafte etwas, was Dir wichtig in der Betrachtung ist, in der Rezeption?
C.B.: Für mich selber ist es eine Art Forschung, also ein großes Rätsel. So wie ich entdeckt habe, dass es Farben gibt, die gelöscht wurden und welche Funktionen diese Farben hatten, so hat es mich erstaunt, die Geschichte dieser einzelnen Objekte zu ergründen. Zum Beispiel diese Flasche deren Name Vichyform ist. In diesem historischen Kontext ist es ein sehr starker Name, da es an das Régime de Vichy erinnert, obwohl es bei dieser Flasche eher um das Mineralwasser aus Vichy geht. So habe ich eine Zweideutigkeit, die mich fasziniert. Jan-Philipp Frühsorge machte mich darauf aufmerksam, dass im Film Casablanca in der Schlussszene, nachdem die Nazis gestürzt sind, eine Figur eine Flasche Vichy-Wasser auf den Boden schmeißt und wegtritt. So tritt dieses Vichy-Wasser genau in diesem historischen Kontext auf. Solche Geschichten begegnen mir und ich versuche damit immer weiter zu spielen.
H.T.: Es gibt ja eine Flasche, die erste die ich von Dir gesehen habe aus dieser Serie, die auch in der Ausstellung hängt, da hast du ja sehr bewusst diese rötlich-braune Farbe ausgesucht, weil sie einen Hinweis gibt. Wenn wir neugierig bleiben, erfahren wir, dass diese Farbe der Flasche die Farbe für die Güterzüge der Deutschen Reichsbahn war.
C.B.: Das war zu einem Zeitpunkt, als ich das erste Mal den Begriff Vichyform wahrgenommen habe. Es sind ja Alltagsobjekte und diese Flasche steht noch heutzutage im Supermarkt. Ich habe erst vor ein paar Tagen erfahren, dass deren erste Normung 1942 stattgefunden hat. Ich habe den Farbton des Eisenoxidrots, der auf den deutschen Güterwagen war, mit der Flasche zu einer sehr konfliktbeladenen Kombination gemacht: Das Regime, das mit unseren Vorfahren kollaboriert hat und das große Thema der Shoa in einem Bild. Ich sehe es als Wagnis, von dem man im ersten Moment der Betrachtung keinen Schimmer hat, jedenfalls in meiner Vorstellung.
H.T.: Die Betrachtung ist ja genau das, was ich meinte, es bleibt dieser irritierende Moment, das ist ja auch die Stärke der Arbeit, nicht nur der Stillleben, sondern auch der Farbtafeln. Ich fand auch interessant, dass Du Dich von dieser abstrakten Form aus entschieden hast gegenständlich zu arbeiten, aber vor allem mit fotografischen Mitteln diese Objekte ablichtest. Warum tust Du das?
C.B.: Es ist für mich wie ein Erforschen dieser Gegenstände. In meinen Bildern sind sie in der visuellen Sprache auch wiederum standardisiert. Ich wähle die Perspektive so, wie auf den eigentlichen DIN-Normen diese grundrisshaften Zeichnungen zu sehen sind. Das sind Zeichnungen von Ingenieuren, ein Querschnitt durch die Flasche, auf dem Maßangaben und Kreisradien angegeben sind. Visuell wollte ich diese Objekte auch wiederum so behandeln. Ich könnte diese Objekte auch als Skulpturen ausstellen, aber ich will genau diese eine Perspektive zeigen, hart und technisch. Was übrigens bei den Farben auch interessant ist, denn diese Lackfarben ändern ihre Farbigkeit mit dem Sonnenlicht. Im Morgenlicht sehen sie anders aus als am Nachmittag. Auf der Fotografie aber, da ich ein technisches Licht benutze, ist nur ein Farbton zu sehen, zu jeder Tageszeit derselbe. Auch hier wieder eine Standardisierung, eine Reduzierung, auch in der Farbigkeit.
H.T.: Ich weiss bereits, dass du an dieser Serie weiter arbeitest. Wir bleiben neugierig, es bleibt spannend, welche anderen Kompositionen wir dann noch zu einem späteren Zeitpunkt von dir sehen können. Vielen Dank.
Harald Theiss ist Kunsthistoriker, Autor und Kurator, er lebt in Berlin.
Exhibition/Ausstellung
Edition #5 and Epilogue
Series/Serie
DIN
JavaScript is turned off.
Please enable JavaScript to view this site properly.